Für Stickstoffdioxid (NO2) gibt es keine Wirkschwelle, sagt das Umweltbundesamt (UBA) und präsentiert eine Studie, die das gesundheitsschädigende Reizgas hierzulande für 6 000 vorzeitige Todesfälle nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich macht.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Diabetes durch NO2
Das UBA beauftragte das Helmholtz-Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in München und Gutachter der IVU Umwelt in Freiburg damit, epidemiologische Studien auszuwerten und „erstmals Zahlen für Deutschland“ zu berechnen. Dass jahrelange NO2–Belastung Herzinfarkte verursacht, können epidemiologische Untersuchungen zwar nicht beweisen, schließlich ermöglichten sie keinerlei ursächliche Beziehungen, wie das UBA einräumt. Doch diese Langzeitbeobachtungen zeigten zumindest „hohe statistische Gewissheiten“, mit welchen Krankheiten NO2 in Zusammenhang steht: z.B. mit kardiovaskulären Schäden, die das Herz-Kreislauf-System betreffen, aber auch mit Asthma und Diabetes II.
Diese beiden Erkrankungen seien 2014 in 439 000 bzw. 437 000 Fällen auf NO2 zurückzuführen, ergab die Studie der Münchner Forscher. Die Zahl 6 000 bezieht sich allein auf tödlich verlaufende Herz-Kreislauf-Schäden im Jahr 2014. Das heißt, 1,8 Prozent aller tödlich endenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien mit NO2 assoziiert, sagt Myriam Tobollik: „Vorzeitig meint keine konkrete Zahl“, so die UBA-Wissenschaftlerin, „es kann ein Tag sein, aber auch zehn Jahre.“
Hot Spots an verkehrsreichen Straßen
„Einen Schwellenwert für Stickstoffdioxid gibt es nach aktuellem Wissensstand nicht“, sagt Myriam Tobollik. Da aber für niedrige NO2–Konzentrationen und deren gesundheitliche Effekte bisher keine verlässlichen Studien vorlägen, seien nur städtische und ländliche Hintergrundbelastungen von mehr als 10 μg NO2/m3 Außenluft betrachtet worden. Auch bestehende Hot Spots an verkehrsreichen Straßen gingen nicht in die Berechnung der vorzeitigen Todesfälle mit ein. „Sechstausend sind deshalb definitiv eine Unterschätzung in den Städten“, sagt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Tatsächlich litten mehr Menschen an den Auswirkungen zu hoher NO2–Konzentrationen.
50 000 verlorene Lebensjahre durch NO2
Neben der Zahl vorzeitiger Sterbefälle werden als Maßeinheit nach einer Methode der Weltgesundheitsorganisation WHO auch Lebensjahre berechnet, die durch frühzeitigen Tod verloren gehen. Die UBA-Studie ermittelte fürs Jahr 2014 knapp 50 000 verlorene Lebensjahre nach Herz-Kreislauf- Erkrankungen, die aufs NO2–Konto gingen. Würde man alle anderen Erkrankungen hinzurechnen, mit denen das Reizgas noch in Verbindung steht, seien es sogar 100 000. Die Europäische Umweltagentur (EEA) legte vergangenes Jahr einen Bericht vor, wonach 12 860 vorzeitige Todesfälle in Deutschland aufgrund der NO2–Belastung berechnet wurden (s. UB Nov´17, S. 15). Dabei sei die Gesamtmortalität betrachtet worden, also auch Todesfälle, die nicht im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung stünden, erläutert Krautzberger den Unterschied zur UBA-Untersuchung. „Unsere Studie ist in jedem Fall die solidere und wissenschaftlich evidentere“, sagt die UBA-Präsidentin.
Zwar ist die NOx-Belastung in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland leicht zurückgegangen, die Emissionen seien aber immer noch viel zu hoch, sagt Krautzberger: „Ja klar, die Zahlen sind rückläufig, aber es reicht noch lange nicht aus, um die Grenzwerte einzuhalten.“ Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte vergangenes Jahr behauptet, es gebe „keine wissenschaftlich erwiesenen Zahlen“ zu Todesfällen und „keine toxikologisch bedenklichen NO2–Werte“ in Deutschland. Das findet die UBA-Präsidentin „traurig“. Offenbar seien da die Studien nicht gelesen worden. Dabei gebe es von der WHO demnächst sogar noch schärfere NO2–Grenzwerte.
Straßenverkehr bedeutendste Quelle von NO2
„Der Straßenverkehr ist eine der bedeutendsten NO2–Quellen mit einem Anteil von 60 Prozent“, heißt es beim UBA. Hauptquelle dafür in dicht besiedelten Städten sind Diesel- Fahrzeuge. Nach Veröffentlichung der NO2–Studie forderte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter „dringend die technische Nachrüstung dreckiger Diesel auf Kosten der Autoindustrie“. Und: „Die Bundesregierung darf den Städten nicht länger die Blaue Plakette vorenthalten.“ Dieses Thema müsse nun für den neuen CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer höchste Priorität haben, sagte auch die verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ingrid Remmers. Doch Scheuer ist wie sein Amtsvorgänger und Parteigenosse Alexander Dobrindt ein erklärter Gegner der Blauen Umweltzone. „Die Plakette bleibt das falsche Mittel“, sagte er der Bild–Zeitung.
Die UBA-Studie Quantifizierung von umweltbedingten Krankheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid- Exposition in Deutschland steht zum Download bereit unter: Wie sehr beeinträchtigt Stickstoffdioxid (NO2) die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland? | Umweltbundesamt
Allgemein zur Belastung durch NO2: Stickstoffoxide | Umweltbundesamt
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe, April 2018.