Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zum dreizehnten Mal beim jährlichen Kongress ihres Rates für nachhaltige Entwicklung (RNE) gesprochen. Ihre Bilanz ist niederschmetternd: „Vor zwölf Jahren habe ich zum ersten Mal darüber gesprochen, dass wir noch immer von der Substanz leben. Das, so muss man konstatieren, hat sich bis heute nicht entscheidend geändert.“ Und seitdem immer wieder findet sich in ihrer jährlichen Rede dieser Satz: „Wir müssen den Gedanken der Nachhaltigkeit noch konsequenter zum Maßstab des Regierungshandelns machen.“ Diese Empfehlung bekam Merkel dieses Mal aber nicht von ihrem Nachhaltigkeitsrat, sondern per Gutachten überreicht. Ein internationales Expertenteam, eine sogenannte Peer Group, hatte zum dritten Mal nach 2009 und 2013 die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie unter die Lupe genommen.
Anzeiger für den falschen Pfad
Darin hat die Bundesregierung die 17 Ziele der Vereinten Nationen (SDGs) mit eingebaut und im Januar 2017 beschlossen. Die Indikatoren, mit denen die nachhaltige Entwicklung gemessen wird, wurden auf mehr als sechzig erweitert. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht dazu alle zwei Jahre einen Indikatorenbericht und verwendet symbolisch Gewitterwolken, wenn es in die falsche Richtung geht. Zum Beispiel bei der Quote Fettleibiger, dem Nitratanteil im Grundwasser, dem Energieverbrauch im Güter- und Personenverkehr, beim bezahlbaren Wohnraum, den CO2-Emissionen des Konsums, der Artenvielfalt und Landschaftsqualität sowie bei der Kriminalität.
Wenn wir nicht, wer dann?
Auch die elf Peers aus Brüssel, China, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweiz und Südafrika kommen nun zum Schluss, dass Deutschland noch nichts erreicht habe, da eine Transformation von Konsumverhalten, Produktion, ethischen Grundsätzen und Handeln hin zu mehr Nachhaltigkeit bisher „lediglich sehr begrenzt stattgefunden“ habe. Die Experten sagen aber auch: „Wenn Deutschland es nicht schafft, wer dann?“ Denn die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung seien bestens: Es gebe hierzulande sozialen Zusammenhalt, finanzielle Stabilität, Umweltschutz, demokratische Institutionen und verantwortliches Wirtschaften.
Wo bleibt das nachhaltige Regierungshandeln?
Ja, mag sein, dass die Umweltpolitik anderswo noch viel weniger gilt, aber aus Binnensicht bemerken wir doch eher: noch immer fast vierzig Prozent klimaschädlichen Kohlestrom, die meisten Flüsse begradigt, die Auen zerstört, die Artenvielfalt schrumpft, der CO2-Ausstoß noch viel zu hoch, und deutsche Autohersteller bauen weiter spritfressende PS-Boliden. Wo bleibt da also das Regierungshandeln, das den Gedanken der Nachhaltigkeit zum Maßstab macht? Wann fangen Merkel & Co damit an?
Es geht zu langsam
„Ich widerspreche ausdrücklich der Aussage, dass der jetzige Koalitionsvertrag nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist“, wehrte sich die Bundeskanzlerin vor der Nachhaltigkeitsgemeinde des RNE gegen allfällige Kritik. Ein Zwischenrufer hatte eingeworfen, dass es nicht schnell genug gehe. Da endlich löste sich Merkel mal von ihrem Redepapier und reagierte spontan: „Ich verstehe ja auch die Ungeduld; diese brauchen wir vielleicht auch manchmal, damit wir überhaupt zu Potte kommen.“ Die Bundeskanzlerin verkaufte es als Erfolg, dass man sich jetzt endlich auf ein Klimaschutzgesetz einigen werde, um das Klimaziel für 2030 zu erreichen. Bis dahin sollen die Emissionen nämlich um 55 Prozent sinken im Vergleich zu 1990. Erreicht sind noch nicht mal dreißig Prozent CO2-Reduktion. Und dass in der neu gebildeten Strukturkommission für den Kohleausstieg ein Datum benannt werde, „an dem wir den Braunkohletagebau in Deutschland beenden“ werden, findet Merkel „eine qualitativ neue Perspektive, die wir so parteiübergreifend noch nicht eingenommen hatten“.
Tim Bartels, Chefredakteur UmweltBriefe
Das Gutachten der Peer Group kann auf der Seite des RNE kostenfrei heruntergeladen werden. Peer Review