Um die Welt vor neun Milliarden Menschen zu retten, reicht mehr Energieeffizienz allein nicht aus. Zumal dann nicht, wenn der viel beklagte Rebound-Effekt eintritt, also Effizienzgewinne von Konsumsteigerungen aufgefressen werden. Effizienz braucht demnach Suffizienz. Im Fall der Suffizienz wird nach dem rechten Maß gefragt. Gemeint ist damit, nur soviel zu haben, wie es die eigenen Bedürfnisse erfordern.
Verhaltensänderung und Suffizienz, statt nur neuer Technik
Wie denn die Leser seines Buchs seinem Aufruf „Gestalten Sie eine neue Wirtschaftsordnung mit!“ folgen können, wird Christian Felber auf der Verlagswebsite gefragt. Der Autor der „Gemeinwohlökonomie“ antwortet: „Zuerst frage ich mich, was ich tatsächlich brauche, um glücklich zu sein und wie verbunden ich mit dem großen Ganzen bin, wie ich meine Beziehungen pflege. Ganz oft ist dann die Antwort, ich brauche weniger Konsum und mehr Qualität an Zeit, Körperlichkeit, Gemeinschaft, Umwelt, Demokratie und Sinn: alles immaterielle und nicht käufliche Güter.“ Felber beschreibt hier ein Grundverständnis von Suffizienz, dass unsere existentiellen Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Artensterben nicht allein durch neue Technik, also z.B. Erneuerbare Energien, gelöst werden können, sondern: nur gepaart mit einer Verhaltensänderung.
Freiheit, mal nichts zu tun
Auch die Augsburger orientieren sich am Suffizienz-Gedanken. In seinen „Zukunftsleitlinien“ hat sich die Stadt nicht nur ans gängige Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales – gehalten, sondern sich noch eine vierte Dimension dazu geholt: die Kultur. Verhaltensänderungen und neues Denken sind also eher in der Kultur zu verorten.
In den Augsburger „Kultur“-Leitlinien sind zwei bemerkenswerte Ziele formuliert, die auf Suffizienz, auf das Maßhalten abheben. Zum einen heißt es da: „Nachhaltige Konsum- und Lebensstile entwickeln und fördern.“ Klar, ein nachhaltiger Lebensstil kann nur einer sein, der die Bereitschaft zur Mäßigung verinnerlicht hat. Zum anderen will Augsburg Folgendes zum Prinzip machen: „Die Freiheit ermöglichen, etwas ohne Ziel zu tun“.
Bingo! Sich die Freiheit zu nehmen, nicht immer nach Zielen zu leben. Auch das meint Suffizienz. Darauf angesprochen antwortet Augsburgs Nachhaltigkeitsleiter Norbert Stamm: „Das ist unser Ventil, das es einfach braucht, sozusagen die Metaebene. Wir strengen uns an, bemühen uns, im System zu arbeiten, aber gleichzeitig muss es auch Momente geben, wo wir einfach verschnaufen, uns in die Wiese legen, nix machen, nix denken, wo wir einfach nur sind.“ Der Agenda-21-Experte lebt Suffizienz schon, ohne es so zu nennen. Stamm lebt beispielsweise ohne Handy und schneidet sich damit, wie er selbst sagt, bewusst „von neuen Kommunikationen ab“.
Digitale Suffizienz
Aufs Handy zu verzichten, ist sicherlich die extremste Form digitaler Suffizienz. Zumeist geht es eher darum, weniger zu konsumieren, weniger Filme und Songs zu streamen oder sicht nicht alle zwei Jahre ein neues Smartphone zu kaufen. Zum anderen, schreibt Nachhaltigkeitsforscher Tilman Santarius in seinem Buch „Smarte Grüne Welt?“, werde unter Suffizienz verstanden, „nicht nachhaltige Verhaltenweisen durch nachhaltigere zu ersetzen“, also z.B. öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen statt das private Auto. Nüchtern betrachtet sei es Unsinn, ein bestimmtes Set an digitalen Techniken für alle möglichen Bedürfnisse oder Probleme einzusetzen, meint Santarius. „In unserer Epoche steht eine kritische gesellschaftliche Diskussion darüber an, wo Digitalisierung sinnvoll ist und wo nicht.“ Seine Maxime lautet: So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich. In ihrem Buch unterscheiden Santarius und Steffen Lange drei Strategien digitaler Suffizienz.
Techniksuffizienz
Zum einen die „Techniksuffizienz“, wonach es wichtig sei, sowohl bei Hard- als auch Softwareentwicklung auf eine lange Nutzungsdauer zu achten. „Alle Geräte sollten ein möglichst ökologisches Produktdesign aufweisen.“ Das ist schwierig, bedenkt man, dass unter Handyherstellern nicht einmal das Fairphone einen verantwortlichen Rohstoffabbau und faire Arbeit in der Lieferkette komplett zu garantieren vermag. Aber immerhin ermöglicht die Modul-Bauweise bei Fairphone und auch beim Shiftphone, dass man Verschleißkomponenten wie den Bildschirm oder den Akku auswechseln kann. „Open Source“ spiele da eine wichtige Rolle, schreiben Santarius und Lange. Denn stünden die Baupläne von Geräten allen zur Verfügung, seien Wartung und Reperatur einfacher.
Datensuffizienz
Zum anderen sehen die Nachhaltigkeitsforscher die Möglichkeit der „Datensuffizienz“, die Dauervernetzung und immer mehr Datenverkehr hinterfragt. „Viele Apps greifen laufend auf Clouds zurück, würden aber offline und durch gelegentliches Updaten der Datenbasis ähnlich gut funktionieren“, geben Santarius und Lange zu bedenken. Je geringer das Datenvolumen, desto weniger Ausbau ressourcenintensiver Infrastrukturen und leistungsfähigerer Geräte und Serverparks.
Nutzungssuffizienz
Und als dritte Strategie nennen die Autoren „Nutzungssuffizienz“. Hier sei Umdenken und Verhaltensänderung gefragt. Wenn mein Handy kaputt geht, sollte ich es reparieren lassen anstatt ein neues zu kaufen. Wenn im Netz gebrauchte Kleidung, alte, aber noch tadellose Geräte oder antike Möbel angeboten werden, braucht es dafür auch meine persönliche Bereitschaft – statt immer mehr Neuware zu ordern. Und wenn das smarte Verkehrsnetz dazu führen kann, schneller und kostengünstiger von A nach B zu kommen, sollte das im Sinne der Suffizienz nicht dazu führen, dass ich noch mehr unterwegs bin. Vorsicht Reboundeffekt! Jeder und jede sollte sich also fragen: Wie viele digitale Geräte und wieviel permanente Vernetzung benötige ich, um ein zufriedenes Leben zu führen.
Grenzen des Konsums
Suffizienz müsse weiter gedacht werden, stärker, dieser Gedanke sei im Kommen, meint auch Norbert Stamm. „Auch in unserem Augsburger Leitbild, den Zukunftsleitlinien, müsste und wird Suffizienz bei der nächsten Überarbeitung sicher hineinkommen.“ Dabei erleben wir dieses Prinzip in unserem Alltag ja längst, wie Nachhaltigkeitsforscher Manfred Linz betont: „Da das tägliche Leben teurer geworden ist und weiterhin teurer werden wird, wächst auch die Einsicht in die Grenzen des Konsums – zusammen mit der Einsicht, dass maßvoller Genuss die Lebensfreude nicht schmälert.“ Im Gegenteil. Selbstbeschränkung wird als Gewinn erlebt.
Autor: Tim Bartels