„Es kann nun keiner mehr sagen, wir haben es nicht gewusst.“ Das betont der Agrarwissenschaftler Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), als er den Globalen Zustandsbericht des UN-Biodiversitätsrates IPBES zunächst in Paris, dann im Bundestag vor etwa 60 Abgeordneten und schließlich ebenfalls in Berlin den Journalisten vorstellt. Es sei im Grunde genommen nichts Neues, was in dem Bericht stehe, so Settele. Man habe „nur“ 15 000 wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet und zusammengefasst, wie es um die Artenvielfalt in der Welt bestellt ist. Das Ergebnis ist allerdings erschreckend und alarmierend.
Der globale Artenschwund ist alarmierend
Dass Tiere und Pflanzen aussterben, sei zwar nichts Neues, sagt Settele. „Amphibien führen die Negativliste an.“ Doch das Tempo, mit dem die Artenvielfalt auf der Erde abnehme, sei niederschmetternd. „Die globale Rate des Artensterbens ist zehn- bis hundertmal höher als im Schnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre“, heißt es im Report.
Das IPBES geht davon aus, dass unter den geschätzten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten der Erde eine Million Arten vom Aussterben bedroht seien. Die Artenvielfalt der Landökosysteme habe sich durch menschlichen Einfluss bereits um mehr als 20 Prozent verringert, sagt Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), eine der Leitautoren des IPBES-Berichts.
Intensive Landnutzung und Überfischung Hauptursachen
Hauptursachen des weltweiten Biodiversitätsverlusts sind die intensive Landnutzung und die Überfischung. Der Klimawandel zeige bisher zwar noch etwas geringere Auswirkungen, berichtet die KIT-Forscherin, doch könne man bereits beobachten, wie sich Ökosysteme durch die Erderwärmung veränderten. Deshalb seien Artenschwund und Klimawandel immer zusammen zu betrachten.
Internationales Abkommen
Die Wissenschaftler hoffen nun, dass ihr Bericht Grundlage wird für ein Abkommen ähnlich dem Pariser Klimavertrag. Sollte eine Einigung zustande kommen, könnte es im Oktober 2020 beim Weltnaturschutzgipfel im chinesischen Kunming beschlossen werden. Die UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) strebte ursprünglich mal an, den Artenschwund bis 2010 „signifikant zu verlangsamen“. Als das Versagen eklatant wurde, einigten sich die CBD-Staaten 2010 in Nagoya auf 20 sogenannte Aichi-Ziele (die COP 10 in Japan fand in der Provinz Aichi statt. Danach soll sich bis 2020 der Verlust an natürlichen Lebensräumen halbiert haben. „Die Aichi-Ziele werden wahrscheinlich auch nicht erreicht“, sagt nun UFZ-Forscher Josef Settele. Als gewissen Erfolg wertet er allein die sieben Prozent ausgewiesene Meeresschutzgebiete und 15 Prozent an Land. Zehn bzw. 17 Prozent lauten hier die Ziele bis 2020.
Reptilien, Ameisen und Wildbienen am stärksten betroffen
„Um den Artenrückgang auf breiter Front aufzuhalten, stehen auch wir in Deutschland in der Verantwortung“, teilt da die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN), Beate Jessel, mit. Schließlich sei der Artenschwund, den der IPBES-Bericht global aufzeigt, ganz ähnlich der Lage hierzulande. Laut dem BfN sind knapp ein Drittel der in den bundesweiten Roten Listen erfassten Arten in Deutschland bestandsgefährdet oder ausgestorben. Zu den am stärksten betroffenen Tiergruppen in Deutschland zählen die Reptilien, Ameisen und Wildbienen. Von den 478 bewerteten Wirbeltieren seien 37 (oder acht Prozent) bereits ausgestorben.
Umsteuern in der Agrarpolitik zum Schutz von Boden und Gewässern
„Noch dramatischer, betont die BfN-Chefin, „stellt sich die Situation für die in Deutschland vorkommenden Biotoptypen dar.“ Unter denen seien knapp zwei Drittel in einer „angespannten Gefährdungslage“. Besonders bedroht sei das Offenland, vor allem die Wiesen und Weiden. Wildpflanzen, von denen etwa 30 Prozent in Deutschland in ihrem Bestand gefährdet seien, litten vor allem unter den hohen Nährstoffbelastungen. Auffallend viele vom Aussterben bedrohte oder stark gefährdete Wildpflanzen fänden sich unter den typischen Arten nährstoffarmer Gewässer und anderer nährstoffarmer Standorte wie Moore, Heiden oder Extensiväcker. „Wir müssen vor allem bei einer naturverträglichen Landwirtschaft und bei einer umfassenden Verbesserung unserer Gewässer ansetzen“, fordert Beate Jessel: „Wir brauchen ein Umsteuern in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik.
Aichi-Biodiversitäts-Ziele: Institut für Biodiversität: Aichi-Biodiversitäts-Ziele 2020
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IPBES-Büro in Bonn: Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services | UN Bonn
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe, Juni 2019.