Feldspatz, Neuntöter, Teichhuhn, Trauerschnäpper und Braunkehlchen standen zur Wahl. Von rund 135 000 Stimmen entschied sich mit knapp 44 Prozent die Mehrheit für das Braunkehlchen Saxicola rubetra. Es hatte der Deutsche Bund für Vogelschutz (1990 in NABU umgetauft) bereits 1987 zum Jahresvogel auserkoren. Damals wurde sein dramatisch abnehmender Bestand in Deutschland auf maximal 52 000 Brutpaare geschätzt. Heute sind es nur noch 19 500 bis 35 000.
Das Braunkehlchen im Grünen Band
Laut dem NABU kommt das Braunkehlchen am häufigsten noch in den weniger dicht besiedelten Regionen im Osten und Nordosten der Republik vor. Der stark gefährdete Wiesenbrüter ist eine Symbolart des Grünen Bandes, dem Naturschutzprojekt des BUND auf der ehemaligen innerdeutschen Demarkationslinie. Grüne-Band-Namenserfinder Kai Frobel vom BUND Naturschutz in Bayern wuchs im Landkreis Coburg in Sichtweite der Grenze auf. „Auf den Grenzzäunen balzten Braunkehlchen. Da musste man einfach drüber stolpern, wenn man halbwegs die Augen offenhielt“, sagte er. Frobel erkannte als Erster den erstaunlichen Artenreichtum im Niemandsland der deutsch-deutschen Grenze.
Intensive Landwirtschaft bedroht das Braunkehlchen
Genau solche ungestörten und verwilderten Flächen bevorzugt das Braunkehlchen als Lebens- und Brutraum. Für solche Zufluchtsorte sehen Ornithologen das Braunkehlchen denn auch als idealen Indikator. „Es fällt oft dadurch auf, dass es auf einer Singwarte, die nicht zu hoch sein braucht, exponiert zu sehen und zu hören ist“, schrieb der frühere NABU-Vize Helmut Opitz in seiner Rückschau auf alle Jahresvögel bis 2013. „In vielen Gebieten war die Art zurückgegangen oder ganz verschwunden, obwohl noch Wiesen vorhanden waren.“
Grund für den Schwund des Braunkehlchens sei damals die Intensivierung der Landwirtschaft gewesen, so Opitz, „in erster Linie die Vorverlegung der Mahd bzw. der Heuernte, die regelmäßig die Mehrzahl der Bruten vernichtete“. So stand der Vogel also 1987 für „eine grundsätzlich verfehlte Agrarpolitik“. Und heute?
„Obwohl die Ursachen und Bedürfnisse bekannt sind, geht der Schwund der Feld- und Wiesenvögel ungebremst weiter“, sagt Stefan Bosch vom NABU Baden-Württemberg. Brachen würden überbaut, Wiesen für Tierfutter häufig gemäht, gedüngt und Ackerränder mit Blüten mit bewirtschaftet. Den Absturz des Bestands bringt die Rote Liste für den Südwesten auf den Punkt: Dort sind nur noch 200 bis 320 Paare zu finden, die Hälfte davon brütet am Federsee, weitere Schwerpunkte liegen am Oberrhein, im Südschwarzwald und auf der Schwäbischen Alb.
Besonders in Nordrhein-Westfalen gefährdet
Noch schlechter geht es dem Braunkehlchen in Nordrhein-Westfalen. Dort wird der Vogel des Jahres 2023 in der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ geführt. Ursprünglich zahl-reich in feuchten Wiesen- und Weidelandschaften des niederrheinischen und westfälischen Tieflandes sowie in Grünlandbereichen des Mittelgebirges beheimatet, finde man das Braunkehlchen hierzulande heute nur noch in unter Naturschutz stehenden Gebieten wie den Hochflächen des Westerwaldes, den ausgedehnten Wiesenlandschaften im Kreis-Siegen-Wittgenstein und der Medebacher Bucht im Hoch-sauerlandkreis. Im Tiefland von NRW ist das Braunkehlchen ausgestorben. Aktuell beträgt der Brutbestand nur noch 180 bis 200 Paare.
Mehr Brachflächen und blütenreiche Wiesen
„Dem Braunkehlchen fehlen einfach extensiv genutzte Grünlandbereiche mit einzelnen Büschen und hohen Stauden, ersatzweise Weidezäunen, welche die Vögel als Sing- und Ansitzwarte nutzen. Strukturen also, die in der modernen Landwirtschaft keinen Platz mehr haben, für den kleinen Sänger aber besonders wichtig sind“, erläutert NRW-NABU-Vize Christian Chwallek die Situation des Braunkehlchens in seinem Bundesland. „Um ihm zu helfen, braucht es neben den Vogelschutzgebieten weitere braunkehlchengerechte Lebensräume in unseren Mittelgebirgen. Wir brauchen wieder mehr Saumstrukturen, Brachflächen und blütenreiche Wiesen in unserer Landschaft.“
Vogel des Jahres: das Braunkehlchen: Vogelporträt: Braunkehlchen – NABU
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe Dezember 2022.