Wildnisgebiet in Deutschland z.B. Königbrücker Heide in Sachsen
Die Königsbrücker Heide in Sachsen ist eins der Wildnisgebiete in Deutschland: Foto: Silbergrasflur in der Königsbrücker Heide, © Jonas Kreische über Wikimedia Commons
14. Januar 2025 | Naturschutz und Biodiversität

Wildnisgebiete: Mehr davon ist drin

Ist es überhaupt realistisch, im dicht besiedelten Deutschland zwei Prozent Wildnis zu ermöglichen? Antwort: Ja, laut einer neuen Studie sind sogar mehr Wildnisgebiete drin.

2 Prozent Wildnisgebiete

Das ehemalige Militärgebiet Königsbrücker Heide in Sachsen, seit 1996 unter Naturschutz, umfasst heute 7036 ha. Davon gelten exakt 5634,9 ha als „Wildnis“. Diese Fläche bleibt also vom Menschen weitgehend ungestört. Doch dieses Areal ist nur ein Bruchteil von den großen zusammenhängenden Wildnisgebieten, die die Bundesregierung in ihrer Biodiversitätsstrategie von 2007 vorsieht. Das darin angestrebte 2-Prozent-Ziel (bis 2020!) ist nicht mal zur Hälfte geschafft, wie jetzt eine Studie genaustens bemessen hat. Danach lässt sich bisher nur 0,62 Prozent der deutschen Landesfläche als Wildnis bezeichnen. Zählt man kurz- und langfristig geplante großflächige Schutzgebiete hinzu, kommen die Wissenschaftler auf 0,73 Prozent – also immer noch weit entfernt von der angestrebten politischen Marke.

Mehr politischer Wille nötig

Mit mehr politischem Willen – das hat ein dreijährige Forschungsprojekt von Heinz-Sielmann-Stiftung, Naturstiftung David und Zoologischer Gesellschaft Frankfurt (ZGF)ergeben – wären allein auf Flächen der öffentlichen Hand immerhin 2,4 Prozent Wildnisgebiete in Deutschland möglich. Bisher seien0,73 Prozent dauerhaft gesichert, sagt der Biodiversitätsleiter der Sielmann-Stiftung, Heiko Schumacher. Hochrechnungen seines Teams zeigen nun, „dass sich auf weiteren 1,67 Prozent der Landesfläche großflächige Wildnisgebiete etablieren lassen und damit das Zwei-Prozent-Ziel übertroffen werden könnte“.

Neue Studie zieht Bilanz

In Summe würden bestehende, künftige und potenzielle Wildnisgebiete eine Fläche von 857930ha umfassen, heißt es in der Bilanzierungsstudie. Darunter sind Wälder wie beispielsweise im Nationalpark (NP)Hainich und Bayerischer Wald; Moore wie im NP Harz und NP Müritz; Seen wie die in Müritz und im NP Kellerwald-Edersee; Küsten wie die NPs Wattenmeer, Vorpommersche Boddenlandschaft und Jasmund; aber auch Hochgebirge wie der NP Berchtesgaden sowie ehemalige Truppenübungsplätze wie Jüterbog, Lieberose, Königsbrücker Heide und ehemalige Bergbaugebiete wie Goitzsche und Geiseltal.

Die berechneten 0,62 Prozent derzeit bestehender Wildnisgebiete machen laut Studie 220614ha aus. Zusätzlich seien rund 9500ha kurzfristig in Planung: z. B. der Bienwald in Rheinland-Pfalz und der Urwald vor den Toren Saarbrückens. Auch das Aschhorner Moor im Landkreis Stade in Niedersachsenkann nach seiner Vergrößerung um 30 ha zum Wildnisgebiet gezählt werden.

Weitere Flächenerweiterungen, um als Wildnisgebiet gelten zu können, werden fürs Naturparadies Grünhaus West in Brandenburg und für den Naturwald Wispertaunus in Hessen erwartet. „Insgesamt gehen wir davon aus, dass die genannten Flächen spätestens nach zehn Jahren gesichert sind“, sagt Adrian Johst von der Naturstiftung David. Für weitere fast 30000ha – das sind laut Johst „im Wesentlichen Flächen des Nationalen Naturerbes, und hier vor allem Flächen der DBU Naturerbe GmbH“– werde es noch länger dauern, bis die Kriterien für Wildnis erfüllt sind. Als Untergrenze haben Bund und Länder einen Flächenumfang von 1000ha definiert, bei Auen, Mooren, Küsten und Seen 500ha.

Potenzial für Wildnisgebiete

Doch wo sehen die Stiftungen dieses gewaltige Potenzial von knapp 600000ha theoretischer Wildnisfläche? Diese Summe umfasst u.a. die heiß diskutierten Flächen weiterer NPs in Bayern (Rhön oder Donau-Auen), NRW (Reichswald am Niederrhein oder Eggegebirge), Schleswig-Holstein (Ostsee) und Baden-Württemberg (Erweiterung des NP Schwarzwald). Aber auch künftige Bergbaufolgelandschaften wie etwa in der Lausitz nach dem Ende des Braunkohleabbaus könnten zum Teil Wildnisgebiete werden.

Ausnahme: Das Grüne Band

Nicht dazu zählt das Grüne Band, Deutschlands mit 1393 km längster und mit 17700 ha umfassendster Biotopverbund an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, bis auf ein Fünftel der Strecke geschützt als Nationales Naturmonument. Ein Abschnitt im Harz komme in Betracht, sagt Heiko Schumacher, aber das Band sei zu zerschnitten durch Verkehrswege und eher kulturhistorisch von Bedeutung. Es wird gerade als Welterbestätte bei der Unesco vorgeschlagen. Der Großteil der Wildnisgebiete ist im Eigentum der Bundesländer (76 Prozent), Stiftungen (9,4) und des Bundes (8,9). Restliche 5,7 Prozent gehören Vereinen, Gesellschaften, Privatpersonen und Kommunen.

Autor: Tim Bartels, in  UmweltBriefe, Januar 2025.


Die Bilanzierungsstudie zu den Wildnisgebieten in Deutschland ist abrufbar unter:  Wildnis in Deutschland

Bestehende und kurzfristig geplante Gebiete mit Karte und Steckbrief finden Sie unter:  Gebiete – Wildnis in Deutschland

Ein Handout zur Wildnisbilanzierung erhalten Sie als PDF unter:  Handout_Wildnisbilanzierung.pdf


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