Für den Dodo kommen die Biodiversitätsindikatoren und das Renaturierungsgesetz zu spät.
Für den Dodo kommen die Biodiversitätsindikatoren und das Renaturierungsgesetz zu spät. Er gilt als Symbol für das vom Menschen verursachte Artensterben. Foto: bennymarty/AdobeStock, KI-generiert
17. Juli 2024 | Bürgerinfo

Biodiversitätsindikatoren: Kampf gegen das Artensterben

Unwiederbringlich tot heißt im Englischen „dead as a Dodo“. Die truthahngroße Taubenart, die nur auf Mauritius vorkam, war weniger als 100 Jahre nach ihrer Entdeckung durch holländische Seefahrer Ende des 17. Jahrhunderts ausgerottet. Heute ist der Dodo ein Symbol für das Artensterben. Denn mehr Arten als je zuvor sind vom Aussterben bedroht. Dem entgegentreten will nun ein zentrales Vorhaben der EU, um Ökosysteme zu schützen und wieder herzustellen: das Nature Restoration Law oder Renaturierungsgesetz. Ausschlaggebend für die Bewertung der Situation sind sogenannte Biodiversitätsindikatoren.

Biodiversitätsindikatoren im Kampf gegen das Artensterben

Auf deutscher Ebene gibt es bereits seit 2007 eine vergleichbare Initiative: die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Um den Erfolg ihrer Naturschutzmaßnahmen zu messen, wird der Fortschritt (oder auch Rückschritt) regelmäßig mit Biodiversitätsindikatoren überprüft. Sie sollen Zustand und Trends der Artenvielfalt beschreiben. Als Indikator erhellend sind Vorkommen ausgewählter Arten einer Artengruppe, die geeignet ist, ein Ökosystem zu repräsentieren – z.B. Schmetterlinge – oder ein für viele Artengruppen günstiges Merkmal ihrer Öko-Nische oder „Wohnung“, etwa die Menge an Totholz in einem Wald.

Beispiele für Indikatoren im EU-Renaturierungsgesetz sind der Anteil von Agrarflächen mit Hecken, Feldgehölzen, Baumreihen oder Gebüschen. Oder auch die Menge an organischem Kohlenstoff in Böden. Gezählt und bestimmt werden auch Schmetterlinge auf Wiesen und Weiden – Grasland Butterfly Index – und die im Agrarland vorkommenden Vögel – Common Farmland Bird Index –, genauso wie Vogelarten, die im Wald leben: der Common Forest Bird Index.

Schmetterlinge als Biodiversitätsindikatoren

Aber warum sind gerade Schmetterlinge ideale Indikatoren für das Artensterben? Tagfalter haben oft spezielle Ansprüche an ihre „Wohnung“, wissenschaftlich Habitat genannt. Zum einen benötigen sie bestimmte Pflanzen, auf denen sie ihre Eier ablegen und von denen sich dann die Raupen ernähren. Zudem können sie aufgrund ihrer kurzen Generationszeit schnell und empfindlich auch auf kleinräumige Veränderungen reagieren. Zum anderen benötigt z.B. der Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion) speziellen Thymian oder Oregano für seine Eiablage sowie ein Ameisenvolk einer bestimmten Art, bei dem er parasitiert. Der Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) wiederum ist bei seiner Pflanzenwahl zur Nahrung oder für die Eiablage weniger wählerisch. Kommen beide Tagfalter-Arten auf einer Weise oder Weide vor, kann man sie als „gesund“ bezeichnen.

Vögel als Biodiversitätsindikatoren

Auch Vögel können aufgrund ihrer speziellen Ansprüche an ein Habitat die Intaktheit eines Lebensraumes gut repräsentieren. Gutes Beispiel dafür ist das Rebhuhn, ein Agrarlandvogel, der einen Mix aus ein- und mehrjährigen Blühbrachen benötigt. Aktuell werden 168 häufige Vogelarten in 25 EU-Staaten erfasst, darunter 39 Arten fürs Agrarland und 34 Arten für Waldgebiete. In Deutschland sind es 51 typische Vogelarten, die die wichtigsten Landschafts- und Lebensräume hierzulande repräsentieren. Anhand dieses Indikators kann man feststellen, dass die Dichte von vielen Arten im Siedlungsbereich viel höher ist als auf dem Acker: Da ist Agrarwüste, da ist kein Rebhuhn, kein Kiebitz, keine Lerche mehr.

Indikator Artenvielfalt und Landschaftsqualität:

Erfasst 51 Vogelarten, die in Deutschland das Agrarland (z.B. Kiebitz, Feldlerche, Rebhuhn), den Wald (z.B. Kleiber, Schwarzspecht, Sumpfmeise), Siedlungen (z. B. Haus- und Feldsperling , Mauersegler, Mehlschwalbe), Binnengewässer (z. B. Haubentaucher, Wasseramsel, Teichhuhn), Küste und Meere (z. B. Austernfischer, Großer Brachvogel, Rotschenkel) sowie die Alpen (z. B. Birkhuhn, Alpenbirkenzeisig) repräsentieren.

Trend: insgesamt negativ; starker Rückgang bei Agrarland-Arten seit 1990; Grund: intensive Landwirtschaft und Fragmentierung der Landschaft; leichte Erholung bei Teilindikatoren Wald und Siedlung von 2009 bis 2019.

Autor: Tim Bartels,  UmweltBriefe, Juli  / August 2024


Informationen des Bundesamts für Naturschutz zum Thema Biodiversitätsindikatoren:  Indikatoren | BFN

Das Science Media Center (SMC) hat zur Frage, wie Biodiversität gemessen werden kann, ein Factsheet veröffentlicht:  FS_Biodiversitaet_messen_SMC_Fact_Sheet_2024-06-19.pdf (sciencemediacenter.de)

Das sollten Sie wissen über Artenschwund und Klimakrise: Die 10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung lesen Sie unter:  Leibniz-Biodiversität: 10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2024 (leibniz-biodiversitaet.de)



Bestellen Sie kostenlose Ansichtsexemplare der UmweltBriefe

Überzeugen Sie sich von dem hohen Praxisnutzen und Mehrwert, den die  UmweltBriefe bieten. Zwei kostenlose Probehefte sind für Sie reserviert:  www.walhalla.de/probeabo-umweltbriefe

So erhalten Sie die Biodiversität

  1. 1.

    Rasen zu Wiesen. Wer seinen Rasen zum Teil in eine Wiese umwandelt, kann erleben, dass immer irgendetwas wächst, gleich wie feucht oder trocken es gerade ist. Die Wiese liefert Nahrung für blattfressende und bestäubende Insekten und Vögel, baut Humus auf und bindet Kohlenstoff.

  2. 2.

    Urbanes Gärtnern. Es darf getrost unordentlich aussehen: Begrünen Sie brachliegende Flächen, Balkone, Dächer, Seiten- und Mittelstreifen an Straßen und Wegen, lassen Sie Wiesen statt Rasen sprießen (s.o.), Totholz statt Zierpflanzenbeete, Blüten- und Beerensträucher statt Thujahecken – alles ein Gewinn für die Biodiversität.

  3. 3.

    Weniger Fleisch essen. Weltweit wächst auf rund 70 Prozent der Ackerflächen Tierfutter. Würde weniger Fleisch konsumiert, könnte ein Teil dieser Flächen direkt der menschlichen pflanzlichen Ernährung dienen und weitere frei werdende Flächen im ländlichen Raum könnten zu Wildnisgebieten werden: Biodiversität gerettet.

  4. 4.

    Mit Natur beschäftigen. Setzen Sie sich wenigstens eine halbe Stunde am Tag oder auch länger am Wochenende mit der Natur auseinander: Balkon bepflanzen, Kräuter, Gemüse anbauen, in Wald und Park spazieren, Vögeln zuhören, Insekten bestimmen – das hilft, sich immer wieder darüber zu besinnen, wie sehr wir die Natur und deren Vielfalt zum Leben brauchen.

  5. 5.

    Bio konsumieren. Die ökologische Landwirtschaft fördert die Artenvielfalt in Feld und Flur, schützt das Grundwasser und schont Flüsse und Seen. Bioböden bauen mehr Kohlenstoff in den Humus ein. Bisher macht der Ökolandbau weltweit aber nur 1,5 Prozent aus, in Europa 9 Prozent, in Deutschland 11 Prozent. Die Bundesregierung will den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent der Agrarfläche ausweiten.

  6. 6.

    Medien über Natur. Lesen Sie mehr in (Internet-)Artikeln, (Web-)Magazinen, Büchern über den grassierenden Artenschwund, über unsere biologische Vielfalt und warum sie überlebenswichtig ist. Schauen Sie Filme, Reportagen zur Natur, gehen Sie in Ausstellungen zur Natur. Dabei sollte es weniger um Zoo- und Haustiere gehen, als vielmehr um Zusammenhänge, Ökosysteme: um die Natur als Existenzgrundlage.