Ausgeloste Teilnehmende diskutieren in einem Bürgerrat.
Ein Bürgerrat schafft große Akzeptanz für politische Entscheidungen in der Bevölkerung. Foto: auremar/AdobeStock
19. Februar 2024 | Bürgerinfo

Bürgerbeteiligung: Bürgerrat und Ernährungsräte

Erstmals hat der Bundestag einen Bürgerrat mit ausgelosten Teilnehmenden aus allen Teilen der Republik, aus allen Alters- und Bildungsschichten quer durch die gesamte Gesellschaft eingesetzt, um sie zur Ernährungspolitik befinden zu lassen. Das Experiment ist geglückt. Seine Forderungen, unter anderem nach einem kostenlosen Schulessen, werden breit diskutiert.

Erster bundesweiter Bürgerrat

Die 160 Teilnehmenden haben in neun Sitzungen ihre Meinungen ausgetauscht und schließlich neun Ratschläge zu Papier gebracht, denen mindestens die Hälfte der „Räte“ zugestimmt hat – darunter eine kostenlose Mahlzeit für alle Kinder; die Pflicht des Handels, überschüssige Lebensmittel zu verteilen statt zu vernichten; eine nachhaltig gestaffelte Umsatzsteuer auf ungesunde oder klimaschädliche Lebensmittel und eine Verbrauchsabgabe für mehr Tierwohl (s. Liste 1 bis 9). Die Empfehlungen wird der Bundestag nun behandeln müssen.

Der Bürgerrat selbst entscheidet natürlich nicht, er tritt nicht in Konkurrenz zur Volksvertretung, Er empfiehlt bloß und kommt bestenfalls ins Gespräch mit dem Parlament. Doch immerhin erhöht der Bürgerrat den politischen Druck für sein Anliegen.

92 kommunale Bürgerräte

Auf Bundesebene gab es offiziell zum ersten Mal einen Bürgerrat. Doch in vielen Kommunen wurden schon Bürgerräte auf den Weg gebracht. Die Webseite www.buergerrat.de listet bereits 92 kommunale Beispiele auf: von A wie Aachen, wo es darum geht, wie die Stadt zu einem attraktiven Einkaufsziel werden kann, bis W wie Wolfschlugen, wo 150 Bürgerinnen und Bürger darüber befinden, wie das Leben vor Ort 2030 aussehen soll.

Vorteil 1 kommunaler Bürgerräte: Empfehlungen werden umgesetzt

Über das Wie und Warum kommunaler Bürgerräte gibt es neuerdings auch ein Handbuch, das neben Politik und Verwaltung auch Bürgerinnen und Bürger adressiert, die sich mehr Beteiligung wünschen und sich dafür einsetzen wollen. Das Beste an diesem Beteiligungsformat: Die Empfehlungen kommunaler Bürgerräte haben (anders als auf Bundesebene) eine hohe Wahrscheinlichkeit, auch umgesetzt zu werden. Schließlich werden sie ja in der Regel vom Gemeinde- oder Stadtrat unterstützt.

Vorteil 2 kommunaler Bürgerräte: großes Vertrauen

Weitere Kernqualität: Wegen der gelosten, also zufällig bestimmten Zusammensetzung der Teilnehmenden und der intensiven Beratschlagung weisen die Ergebnisse eine hohe Legitimität auf. Das meint: Da fast jede und jeder durch das Los gewählt werden könnte, können alle, die nicht teilnehmen, Vertrauen darin haben, dass „ganz normale Leute“ an den Empfehlungen mitgewirkt haben.

Vorteil 3 kommunaler Bürgerräte: große Akzeptanz

Zudem bilden Bürgerräte unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Raum, in dem man Informationen ausgewogen diskutiert. Dass alle Bürgerräte respektvoll miteinander umgehen, faktenbasiert und konstruktiv debattieren sowie alle Perspektiven berücksichtigen, hängt natürlich von den Personen des Rates und einem guten Moderator ab. Klappt dies, ist damit zu rechnen, dass die lokale Bevölkerung Vorschläge aus Bürgerräten als besonders gerechtfertigt wahrnimmt.

„Bürgerräte können Vorbild für eine gelebte Demokratie sein und das demokratische Miteinander in einer Gesellschaft stärken“, heißt es in dem Handbuch. Es gibt von der ersten Idee bis hin zum Transfer und der Verwendung der Ergebnisse viele Tipps und praxisorientierte Ratschläge.

Kommunale Ernährungsräte

Ernährungsräte in Kommunen gibt es bereits seit 2016. Die ersten gründeten sich in jenem Jahr in Köln und in Berlin. Mittlerweile lassen sich mehr als 50 solcher Gremien in Deutschland finden.

Ernährungsräte stellen den Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Landwirten, Händlern, Verbrauchern und Gastronomen her. Ihr Ziel ist es, nachhaltige, lokale Lebensmittelversorgung in Städten zu verbessern.

In den meisten Ernährungsräten arbeitet die Verwaltung mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft zusammen. In einigen Kommunen ist es gar ein Gremium der Stadtverwaltung mit geregelten Aufgaben und Kompetenzen.

Autor: Tim Bartels,  UmweltBriefe, Februar 2024


Die Empfehlungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ finden Sie hier:  Empfehlungen Bürgerrat Ernährung (bundestag.de)


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Das empfiehlt der Bürgerrat:

  1. 1.

    Kostenfreies Mittagessen für Kinder. Bundesweit an Kitas und Schulen die tägliche Bereitstellung eines kostenfreien und gesunden Mittagessens für alle Kinder.

  2. 2.

    Staatliches, verpflichtendes Label. In drei Sekunden erkennen, ob das Lebensmittel unbedenklich ist: Bewusstes Einkaufen durch ein Label für alle in Deutschland und der EU verkauften Produkte.

  3. 3.

    Weitergabe von Lebensmitteln. Supermärkte ab 400 m2 Verkaufsfläche sollen verpflichtet werden, noch genießbare aber abgelaufene Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen und für gemeinnützige Zwecke weiterzugeben.

  4. 4.

    Tierwohllabel. Darstellung der Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren durch ein verpflichtendes und staatlich kontrolliertes Label, das den Lebenszyklus abbildet: Geburt, Aufzucht, Haltung, Transport, Schlachtung, Bundesland.

  5. 5.

    Neuer Steuerkurs für Lebensmittel. Keine Mehrwertsteuer (0 %) auf unverarbeitetes Obst und Gemüse aus der EU in Bioqualität, auch solches, das optisch nicht der Norm entspricht (Klasse 2); zudem 0 % für Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorngetreide, Mineral- und Tafelwasser. Zucker: 19 %.

  6. 6.

    Gemeinschaftsverpflegung. Gesunde, ausgewogene und angepasste Verpflegung in Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und sonstigen Pflegeeinrichtungen.

  7. 7.

    Verbrauchsabgabe. Zweckgebundene Abgabe auf tierische Produkte, um den Umbau der artgerechten Nutztierhaltung zu finanzieren. Die Einnahmen sollen für eine Prämie genutzt werden, die Betriebe erhalten, wenn sie die Haltungsform verbessern.

  8. 8.

    Altersgrenze mindestens 16 Jahre für Energydrinks. Da sie Inhaltsstoffe enthalten, wie z.B. Koffein und Taurin, die in Wechselwirkung und Dosierung negative Auswirkungen auf die geistige und körperliche Entwicklung eines Kindes haben.

  9. 9.

    Lebensmittelkontrollen. Um mehr Personal dafür zu gewinnen, soll die Zugangsvoraussetzung zur zweijährigen Fortbildung für Lebensmittelkontrolleure vereinfacht werden. Nicht nur Personen mit
    Meisterprüfung sollen Zugang erhalten.