Die Wolfspopulation in Deutschland wächst – und auch die Zahl gerissener Weidetiere. Um die damit einhergehenden finanziellen, aber auch emotionalen Schäden betroffener Nutztierhalter wieder gutzumachen, hat Umweltministerin Steffi Lemke jetzt einen Vorschlag an die Länder unterbreitet: Überwindet der Wolf einen Herdenschutzzaun, wie es mittlerweile häufiger vorkommt, darf der Beutegreifer innerhalb von 21 Tagen im Umkreis von einem Kilometer um den Ort des ersten Risses erlegt werden – ohne dass ein genetischer Test vorliegen muss.
Derzeit gilt, dass durch einen DNA-Nachweis der einzelne Wolf bestätigt sein muss, bevor eine „Entnahme“ genehmigt wird. Das führte bisher dazu, dass es zu mehreren Rissen kam und bei Erteilung der Abschusserlaubnis der Wolf längst über alle Berge war.
Verfahren vereinfachen
Steffi Lemke will das in allen Bundesländern komplizierte, bürokratische, aufwändige und zu lang dauernde Verfahren, einen allzu auffälligen Wolf töten zu dürfen, vereinfachen und beschleunigen. Die Bundesumweltministerin hält ihren Vorschlag eines Schnellabschusses innerhalb von drei Wochen nach dem Riss als wirksame Maßnahme, da Wölfe danach häufig zur selben Weide zurückkehren würden. Mit einer DNA-Analyse nach Abschuss ließe sich allerdings erst klären, ob tatsächlich
der „Übeltäter“ getötet wurde.
Angsteffekt
„Dieses neue Verfahren ist erfolgversprechend, den schadenverursachten Wolf zu identifizieren“, so Lemke. Durch die räumliche und zeitliche Einschränkung will sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, das „richtige“ Tier zu erlegen. Man stütze sich dabei auf eine Studie in Schweden, gibt Wildtierforscher Niko Balkenhol von der Uni Göttingen zu bedenken. „Mir ist aber nicht bekannt, dass auch in Deutschland Risse vermehrt dort auftreten, wo es bereits erfolgreiche Nutztierrisse gab.“ Zudem könnten mehrere Wölfe in einem Gebiet dafür verantwortlich sein, sagt Balkenhol. Der Wildbiologieprofessor hält aber einen „Angsteffekt“ durch menschliche Bejagung für möglich, wonach die Wölfe lernen, solche Gebiete zu meiden.
Der Wolf ist streng geschützt
Lemkes Vorschlag zielt nicht darauf ab, Wolfbestände zu regulieren. „Anlassloses Abschießen von Wölfen, die keinerlei Schäden verursacht haben, bleibt weiterhin untersagt“, betont die Ministerin. Der Wolf ist gemäß europäischem Artenschutzrecht und Bundesnaturschutzgesetz eine streng geschützte Tierart. „Der Wolf gehört in das Ökosystem unserer Landschaft. Er erfüllt als großer Beutegreifer eine wichtige Aufgabe im Ökosystem und ernährt sich zu mehr als 95 Prozent von Wild, er frisst im Regelfall im Wald und nicht auf der Weide“, erklärte Lemke bei einer Bundespressekonferenz. „Nichtsdestotrotz haben die Risse ein Ausmaß erreicht, dass wir reagieren müssen.“
Bund und Länder
Lemke hat alle LänderministerInnen darüber informiert. Für ihre Regelung müssen die Bundesländer zuvor diejenigen Regionen definieren, in denen Wölfe häufig Weidetiere reißen. Die erste Resonanz sei positiv gewesen, sagte sie. „Seitens der Länder gibt es ja bereits einige gute Vorschläge, die wir mit meinem Vorschlag als Hebel bündeln wollen und bei der nächsten Umweltministerkonferenz beschließen werden.“ Mit dem Ziel, dass die Regel zur nächsten Weidesaison in Kraft treten kann und bereits von 2024 an gültig ist. Die 101. UMK findet vom 29. November bis 1. Dezember in Münster statt.
Wolfspopulation wächst besonders in Brandenburg
Bevor die Bundesumweltministerin ihren Vorschlag zum „guten und konstruktiven Umgang mit dem Wolf“ verkündete, hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) aktuelle Populationszahlen bekannt gegeben. Danach leben in Deutschland derzeit 184 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare und 22 sesshafte Einzeltiere – das sind 22 Rudel und 11 Paare mehr (und drei Einzelexemplare weniger) als im Jahr zuvor. Insgesamt sind nach Auswertung der von den Bundesländern erhobenen Daten aktuell 1339 Wolfsindividuen hierzulande unterwegs. Die meisten davon in Brandenburg (52 Rudel), Niedersachsen (39) und Sachsen (38). In Baden-Württemberg sind bisher erst vier erwachsene Wölfe nachgewiesen.
Die meisten Wölfe sterben im Straßenverkehr
Der BfN teilt weiter mit, dass die Bundesländer für 2022 insgesamt 1136 (2021: 975) Wolfsübergriffe mit 4366 (2021: 3374) getöteten, verletzten oder vermissten Nutztieren gemeldet haben. Im Monitoringjahr 2022/2023 seien 159 Wölfe tot aufgefunden worden: 15 Wölfe starben an natürlichen Ursachen, 11 wurden illegal getötet und 125 Wölfe wurden durch den Verkehr getötet.
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe November 2023
„Vorschlag zum Umgang mit dem Wolf“ vom Bundesumweltministerium: Vorschläge zum Umgang mit dem Wolf: Schnellabschüsse möglich machen, Artenschutz wahren (bmuv.de)
Aktuelle Zahlen und Daten zum Wolf: Wolfsvorkommen in Deutschland | BFN
Bestellen Sie kostenlose Ansichtsexemplare der UmweltBriefe
Überzeugen Sie sich von dem hohen Praxisnutzen und Mehrwert, den die UmweltBriefe bieten. Zwei kostenlose Probehefte sind für Sie reserviert: www.walhalla.de/probeabo-umweltbriefe