Der „Faktencheck Artenvielfalt“ ist eine mehr als 1000-seitigen Bestandsaufnahme der Biodiversität in Deutschland. Darin haben etwa 150 Autorinnen und Autoren den Stand des Wissens zusammengetragen für die fünf Lebensräume Acker und Wiesen, Wälder, Binnengewässer und Auen, Küste sowie urbane Räume. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ehrenamtliche bewerten in dem vom BMBF finanzierten Assessment die leider überwiegend negativen Entwicklungen und diskutieren die Ursachen dafür. Die gute Nachricht: Es gibt auch zwei, drei positive Trends.
Steigende Artenvielfalt in Wäldern dank des Totholzes
Als Ausnahmen von der Regel – dass die Biodiversität in allen Lebensräumen artenärmer wird –, gelten Wälder und Binnengewässer. Dort nimmt die Artenvielfalt an Vögeln und an Säugtieren im Vergleich zu den 1990er Jahren wieder zu. Wie das? Diesen positiven Trend im Wald erklärt Christian Wirth mit der Abkehr von der Monokulturwirtschaft: „In der letzten Dekade der Bundeswaldinventur hat man beispielsweise festgestellt, dass es einen Zuwachs gab von 18 Prozent Totholz. Da war man jetzt so ungefähr bei den 20 Kubikmetern pro Hektar Anfang der 2010er Jahre angekommen. Und für eine gute Biodiversität braucht man so zwischen 20 und 50 Kubikmetern im Wald. Das hat sich also tatsächlich zum Guten hin verbessert“, sagt der Biodiversitätsforscher und Direktor des Botanischen Gartens in Leipzig.
Wirth geht davon aus, dass die aktuellen Ergebnisse der Bundeswaldinventur, die im Herbst veröffentlicht werden sollen, noch mehr Totholz aufweisen. Für die Vögel, die daran reichhaltige Insektennahrung finden, zeige das schon erste positive Wirkung. „40 Prozent der Organismen in einem Wald sind auf die eine oder andere Weise vom Totholz abhängig“, erläutert Wirth. Zudem sei der Anteil von Mischwäldern hierzulande bereits leicht gestiegen.
Saubere Flüsse sorgen für mehr Biodiversität
Dass die Artenvielfalt auch an unseren Gewässern wieder vielfältiger wird, liege daran, sagt der Faktencheck-Co-Vorsitzende Helge Bruelheide, dass die Flüsse sauberer geworden seien. Dies führe zu mehr Libellenarten und anderen Fließgewässerarten. Und davon profitierten wiederum die Vögel, erklärt der Geobotanikprofessor am Institut für Biologie der Universität Halle-Wittenberg. Selbst die Verschmutzung in Ost- und Nordsee durch den Nährstoffeintrag der Flüsse sei rückläufig, konstatiert Bruelheide.
„Leider stagniert das gerade auf sehr hohem Niveau.“ Da sei noch viel Potenzial, dass sich die Gewässerqualität weiter verbessert. Den drei Säugetierarten an der Küste, Schweinswal, Seehund und Kegelrobbe, geht es jedenfalls gut. „Das liegt an einem ganz strikten Schutz dieser Tierarten“, sagt Bruelheide.
Starker Rückgang der Artenvielfalt im Agrar- und Offenland
Doch neben diesen wenigen Lichtblicken zeigt die Biodiversität hierzulande vor allem negative Trends. Kein Wunder, denn 60 Prozent der FFH-Lebensräume haben einen unzureichenden oder schlechten Erhaltungszustand; 40 Prozent der Biotoptypen der Roten Liste sind gefährdet. Und das schlage sich nieder auf die Zusammensetzung der Tiere und Pflanzen, sagt Wirth: „Die Arten-Gemeinschaften in Deutschland werden weniger artenreich.“
Woran liegt der Artenrückgang – z.B. im Agrar- und Offenland? „Es ist die Strukturvielfalt, die uns fehlt, die ist sehr stark zurückgegangen“, sagt Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Uni Freiburg, „und wir schaffen es noch nicht, sie wiederherzustellen.“ Zwar würden weniger Pestizide auf die Äcker gebracht. „Trotzdem sehen wir nicht, dass die Toxizität zurückgeht, sondern die geht leicht nach oben“, so Klein. Was, wenn die Insekten nicht wieder zurückkommen? „Wir sehen es in manchen Studien, dass Nischen offenbleiben, dass Pflanzen nicht bestäubt werden.“
Naturschutz und Naturnutzung miteinander verbinden
Eine der Hauptaussagen des Faktenchecks sei das Wirtschaften mit der Natur, sagt Bruelheide. Biodiversitätsschutz müsse aber auch viel stärker in die eigenen Praktiken des Alltagshandelns integriert werden, fordert die Leitautorin des Kapitels Transformationspotenziale, Marion Mehring. Naturschutz dürfe nicht länger als das Gegenteil von Naturnutzung verstanden werden. Bei der Ausweisung neuer Naturschutzgebiete sehen die Autoren noch Luft nach oben. Deutschland hat versprochen, 30 Prozent seiner Fläche bis 2030 unter Schutz zu stellen, 10 Prozent davon unter strikten Schutz“, sagt Wirth. „Da muss man sich dann auch ehrlich machen und sagen, wie weit wir damit sind?“
Autor: Tim Bartels, in UmweltBriefe, Oktober 2024
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