Viren gelten als heimliche Sieger der Evolution – gemessen an ihrer Häufigkeit. Es gebe 100 Millionen unterschiedliche Typen und zehn Mal mehr von ihnen als die im Schnitt hundertmal größeren Bakterien, schreibt Riffreporter und Biologe Henning Engeln. „In jedem Kubikzentimeter Meerwasser finden sich zehn Millionen Viren.“ In den Ozeanen werde ihre Zahl auf unfassbare 1031 geschätzt. Doch nicht nur die Meere, auch die Luft enthält jede Menge Viren. Und mit dem Wind reisen die meisten Erreger auf Feinstaub und anderen Teilchen um die Welt.
Feinstaub als Highway für Viren
Besonders schnell verbreiten sie sich offenbar dort, wo die Luft über die Maßen mit Feinstaubpartikeln belastet ist. Das legen jetzt Corona-Studien aus Italien und den USA nahe. Darin stellen Wissenschaftler einen Zusammenhang her zwischen der Zahl der Infizierten bzw. Corona-Todesfälle und der Luftverschmutzung in besonders betroffenen Gebieten. Zum Beispiel in den Regionen Lombardei und Emilia-Romana im Norden Italiens. Dort lagen die Feinstaubwerte für PM10 – also Partikel, deren Durchmesser weniger als zehn Mikrometer (µm) beträgt – deutlich über den europäischen Grenzwerten. Auch seien dort Feinstaub-Teilchen weniger als 2,5 µm klein (PM2,5) in der Luft besonders hoch konzentriert. Partikel dieser Größe können direkt in Bronchien und Lungenbläschen eindringen und im Fall langer Belastung die typischen Vorerkrankungen verursachen, die das Sterberisiko von betroffenen Menschen mit Sars-Cov-2-Infektion erhöhen. Dies untersuchten Harvard-Wissenschaftler für die USA genauer. Für ihre Studie wurde die Feinstaub-Belastung bis zum 4. April in knapp 1 700 US-Countys analysiert und mit den Covid-19-Todesfällen korreliert.
Dicke Luft macht krank
Das sehr konkrete Ergebnis der Harvard-Studie: Erhöht sich die langfristige PM2,5-Belastung um 1 µg/m3 Luft, nimmt die Covid-19-Sterberate um 15 Prozent zu. Oder anders gesagt: Wäre in den vergangenen 20 Jahren die Feinstaubmenge im New York County um 1 µg/m3 gesenkt worden, hätte es bis zum 4. April 248 Corona-Todesfälle weniger gegeben. Was lehrt uns das? Es bleibt ungeklärt, ob Viren, die mit dem Wind über Kilometer hinweggeweht werden, überhaupt noch infektiös sind. Und die reine „Mitfahrgelegenheit“ auf Staubpartikeln sagt ja noch nichts aus über das Ansteckungsrisiko. Offensichtlich ist aber: Luftverschmutzung beeinflusst die Schwere einer Covid-19-Erkrankung.
Dabei verursacht doch „dicke Luft“ auch ohne Pandemie Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die zum vorzeitigen Tode führen können. In Europa waren davon im Jahr 2016 mehr als 400 000 Menschen betroffen, wie es im Luftqualitätsbericht der Europäischen Umweltagentur heißt. So gesehen sei „nicht die Virus-Pandemie das wirkliche Drama“, schreibt das Online-Magazin Telepolis. Vielmehr beleuchte die aktuelle Seuche „durch vermehrte Aufmerksamkeit auf die Ausbreitung von Todesfällen ein nicht biologisches, sondern anthropogen gemachtes Todesrisiko, das kontinuierlich und nicht in Epidemiewellen Opfer fordert“.
Bessere Luft wegen der Pandemie?
„Das Coronavirus führt uns vor Augen, dass saubere Luft ein unverzichtbares Gut ist“, sagt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Der DUH-Chef will deutsche Kommunen mit hoher Luftbelastung dazu bringen, kurzfristig mehr Fahrradstraßen auszuweisen und innerorts Tempo 30 vorzuschreiben. Das trage zur Verbesserung der Luftqualität bei und mache Radfahren sicherer, betont Resch. Und: „Entschleunigte Verkehre entlasten auch Rettungsstellen und Krankenhäuser.“ Nun hat sich in der chinesischen Stadt Wuhan, wo das neuartige Coronavirus seinen Ausgang nahm, nach dem Shutdown und rigoroser Ausgangssperre die Luftqualität schlagartig verbessert. Und nicht nur dort. Aus allen Ecken der Welt kommen derzeit Berichte über sauberere Luft wegen der Einschränkungen durch das Coronavirus. Welchen Einfluss also hat die Pandemie auf die Luftqualität in hiesigen Städten?
Dies kann das Umweltbundesamt (UBA) noch nicht genau sagen. Der Zeitraum dafür sei noch zu kurz, heißt es aus der Umweltbehörde. „Eine Reduzierung von Emissionen durch weniger Verkehr und weniger Industrieprozesse“, schreibt das UBA, „hat grundsätzlich immer einen positiven Effekt auf die Luftqualität und auf die Menge der Treibhausgase.“ Wie groß dieser Einfluss sei, könne die Behörde aber erst dann „seriös bewerten, wenn die Daten zu dessen Berechnung vollständig vorliegen“. Auch wenn sich die Maßnahmen der Coronakrise derzeit positiv auf die Luftqualität auswirken, werde dies nur ein kurzfristiger Effekt sein, so das UBA: „Eine langfristige und dauerhafte Verbesserung der Luftqualität kann nur mit gezielter Luftreinhaltepolitik, z.B. der Umsetzung von Maßnahmen aus Luftreinhalteplänen, erreicht werden.“
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe, Mai 2020
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