„Das lange Elend: der Kampf um den ÖPNV“, hieß es mal auf einer unserer Eigenanzeigen Ende der 90er. Nun kämpfen die Öffis um ihre Fahrgäste, denn die Auslastung nach dem pandemiebedingten Lockdown liegt erst wieder bei 60 bis 70 Prozent. Um sie wieder zurückzuholen, fahren die Verkehrsunternehmen derzeit eine Großkampagne namens #BesserWeiter. Das ist gut gemeint. Aber ist es auch gut gemacht und wirksam? Werden die Richtigen adressiert? Es wird nicht mit Klimaschutz und tollen Dienstleistungen geworben, sondern motivisch ausschließlich das Masketragen angezeigt („Masken sind cool“), unterschwellig eher angemahnt und mit Bußgeld gedroht.
Mobilitätsmuffel statt Maskenmuffel
Doch wen wollen die Öffis damit zurückholen? In den vergangenen Monaten waren die Menschen grundsätzlich seltener unterwegs, gerade Jüngere: 93 Prozent der 18- bis 29-Jährigen hätten ihr Mobilitätsverhalten deutlich eingeschränkt, besagt eine Forsa-Umfrage. Mobilitätsmuffel also statt Maskenmuffel. Die haben sich daheim bequem eingerichtet. „Homeoffice und Videokonferenzen werden dazu führen, dass wir einen längerfristigen Dämpfer haben werden“, bezweifelt auch VDV-Chef Oliver Wolff derzeit ein Comeback der Öffis. Viele hat der ÖPNV auch ans Fahrrad und an den Fußweg verloren. Und die werden in Busse und Bahnen nur noch bei Schlechtwetter einsteigen.
Ab heute fahr ich Bus
Der umweltschädlichste Konkurrent des ÖPNV ist aber das Auto. Sein Anteil stieg um zehn Prozent. Doch tatsächlich wegen angstbedingter Vermeidung der Öffis? Schließlich ist die PKW-Dichte in den vergangenen zehn Jahren grundsätzlich gestiegen, nämlich um 12 Prozent bis 2019, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Die will der ÖPNV haben. Wie das? Durch ein besseres Angebot. Es „werden zusätzliche Kapazitäten benötigt“, besagt eine von vier Strategien des Mobility Institute Berlin (MIB). Mehr Busse, dichterer Takt. Zweitens sollten verschiedene Nahverkehrsmittel mit On-Demand- und Sharingdiensten wie Leihfahrrädern besser vernetzt werden. Drittens muss mehr digitalisiert werden, z.B. der Ticketkauf und ein W-Lan-Service. Und viertens gelte es, starre Preissysteme wie Jahres- und Monatskarten zu flexibilisieren. Denn jeden Tag wird neu entschieden, wie man unterwegs sein will. Genau damit muss geworben werden. Und zwar so: „Bin allein oft unterwegs / Damit ist jetzt Schluss / Ab heute fahr ich Bus.“
Ihr Tim Bartels
Über den Autor:
Tim Bartels ist Chefredakteur der Zeitschrift UmweltBriefe. Darin beschäftigt er sich mit den Themen Nachhaltigkeit, Energie, Abfall, Immissionsschutz, Mobilität, Klima- und Naturschutz, Stadtökologie, Umweltmanagement, Umweltrecht und Lokale Agenda 21. Er ist Träger des UmweltMedienpreises der Deutschen Umwelthilfe.