Gehwege wurden in den Kommunen früher mehr so als Resterampen des Straßenraums behandelt. Erst seit wenigen Jahren werden die Belange der Fußgänger diskutabler – bis hin zum ersten deutschen Fußverkehrsgesetz, das am 28. Januar im Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Es ist nun verankert als vierter Baustein im Berliner Mobilitätsgesetz, das seit zweieinhalb Jahren langsam in Bewegung kommt.
Die Stadt Leipzig hat 2018 Deutschlands ersten Fußverkehrsbeauftragten auf den Gehweg geschickt. Nun zieht Rot-Rot-Grün in Berlin nach und ergänzt im Mitte 2018 in Kraft getretenen Mobilitätsgesetz nach den drei Teilen Allgemein, ÖPNV und Radverkehr einen vierten Abschnitt zur „Entwicklung des Fußverkehrs“. Dieses neue Paragrafenwerk setzt Standards, wie das Zufußgehen in Berlin gefördert und sicherer gemacht werden soll.
Umweltverbund aus ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr
„Längere Grünphasen an Fußgängerampeln, leichtere Einrichtung von Zebrastreifen und Spielstraßen auf Zeit, mehr Bänke und mehr Personal“, zählt der Senat für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf, seien die Maßnahmen, die den Fußverkehr attraktiver machen sollen. Die Logik daraus lautet: Wer zu Fuß einfach und sicher zur nächsten U-Bahn kommt, nutzt eher den ÖPNV. Wer kurze Wege in seinem Viertel mit dem Fahrrad oder zu Fuß gut nutzen kann, der lässt das Auto viel eher stehen. Der Umweltverbund aus ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr sei in seiner Summe dann erfolgreich, „wenn die Stärken jedes seiner Elemente zur Geltung kommen“, heißt es beim Senat.
Konkrete Maßnahmen
Konkret heißt das: Das Queren breiter Straßen soll durch mehr Zebrastreifen, mehr Mittelinseln, abgesenkte Bordsteine und „Gehwegnasen“, aber auch durch fußgängerfreundliche Ampeln mit längeren Grünphasen sicherer und schneller werden.
Um neue Zebrastreifen schneller auf die Straße zu bringen und die Bezirke zu entlasten, soll die Berliner Verkehrsverwaltung künftig diese Aufgabe an sich ziehen können. In der Zwischenzeit konnten Pop-up-Zebrastreifen zum Einsatz kommen.
Zur Beruhigung des rollenden Verkehrs und zum Schutz der Fußgänger sind außerdem „durchgezogene“ Gehwege vorgesehen, die die Fahrbahn auf einer Art Plateau kreuzen. Zudem will der Senat noch mehr Spielstraßen auf Zeit und weitere Begegnungszonen (bisher gibt es zwei) einrichten, in denen der Autoverkehr keine oder nur eine nachgeordnete Rolle (Tempo 20) spielt.
Polizei und Ordnungsämter sollen die Gefährdung von Fußgängern noch stärker in den Blick nehmen und Falschparken konsequent ahnden. Gehwege müssen ausreichend Platz bieten. Mehr Sitzbänke sollen es vor allem älteren Menschen erlauben, längere Wege mit Pausen zu bewältigen.
Widersprüche zwischen Gesetz und Praxis
Deutschlands Lobbyverband für Fußgänger, Fuss e.V., hält Berlins Fußverkehrsgesetz zwar für einen Meilenstein. „Es klaffen aber noch tiefe Widersprüche zwischen Gesetz und Praxis“, sagt Fuss-Geschäftsführer Stefan Lieb. Ein ums andere Mal werde Raum für den Radverkehr angelegt – das findet Lieb durchaus „richtig und wichtig“. Aber häufig ginge das zu Lasten der Gehwege, zugleich würden Fahrbahnen und Parkplätze geschont, kritisiert der Fußaktivist.
„Eine Rad-Schnellstrecke für 30.000 Fahrzeuge täglich“ drohe zum Beispiel dem vor zwanzig Jahren von Autos befreiten Brandenburger Tor. Und auch im Grünen, findet Lieb, sei die Planung „aggressiv“: Statt lauschiger Uferpromenaden seien 8 m breite Asphaltbänder am Teltower Kanal geplant, das Gehen am Wasser wurde verboten. Deshalb fordert Fuss e.V.: „Die Verkehrswende fürs Rad muss auf der Fahrbahn stattfinden, nicht auf dem Gehweg und nicht im Park.“
Das Berliner Mobilitätsgesetz: www.berlin.de/sen/uvk/verkehr/verkehrsplanung/fussverkehr/mobilitaetsgesetz
Fachverband Fußverkehr Deutschland (FUSS) e.V.: www.fuss-ev.de
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe, März 2021.
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