Im Oktober 1996 veröffentlichte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) erstmals eine gesamtdeutsche Rote Liste gefährdeter Wildpflanzen. „Von 13 907 untersuchten Pflanzenarten werden fast 30 Prozent in die Gefährdungsstufen gefährdet bis ausgestorben eingeordnet“, hieß es damals. Nun hat das BfN erneut 8 650 Farn- und Blütenpflanzen, Moose und Algen gelistet und nach ihrem Bedrohungsgrad eingestuft.
Das Ergebnis: Fast jede dritte Spezies ist in ihrem Bestand gefährdet. Exakt 2 532 Arten oder 30,8 Prozent fallen unter die Kategorien vom Aussterben bedroht (313), stark gefährdet (884), gefährdet (902) oder in unbekanntem Ausmaß gefährdet (433). Ist das nun besser oder schlechter als vor 22 Jahren? „Beides“, sagt Rote-Liste-Mitautor Günter Matzke-Hajek.
Vielen Moosarten geht es besser, den meisten gleich düster wie 1996
Für 30,6 Prozent der erfassten Arten habe sich der Bestandstrend verschlimmert, sagt er. Nur 3,2 Prozent der heimischen Pflanzen gehe es besser. Darunter viele Moosarten, die auf Bäumen wüchsen und von sauberer Luft profitierten, vor allem durch technische Maßnahmen sowie den Einsatz schwefelarmer Brennstoffe. Damit ließen sich die Schwefelemissionen seit 1990 um mehr als 90 Prozent eindämmen. Die damit verbundene geringere Versauerung der Seen hat sich wiederum positiv auf einige Kieselalgenarten ausgewirkt. Für 47 Prozent der Pflanzenarten konstatiert Botaniker Matzke-Hajek einen gleich bleibenden Zustand. „Das bedeutet aber keineswegs, dass die ungefährdet sind“, sagt er, „denn es sah für diese Arten ja auch im Jahr 1996 schon düster aus.“
Nicht nur Moose und Kieselalgen, auch einige Farn- und Blütenpflanzen (327 Taxa) konnten sich durch Schutzmaßnahmen erholen. Das sei Ackerrandstreifen und Schutzäckern zu verdanken, heißt es beim BfN. „Dadurch konnten zum Beispiel Bestände der Kornrade und der Dicken Trespe verbessert werden.“ Beides früher in Getreidekulturen typische Begleitpflanzen.
Stickstoff aus der Landwirtschaft gefährdet Wildpflanzen
Eine detaillierte Analyse der Gefährdungsursachen wird das BfN im Laufe dieses Jahres in der „Roten Liste“ vorlegen. Soviel ist schon klar: Auffallend viele bedrohte Arten finden sich in nährstoffarmen Gewässern, in Mooren, Heiden oder auf Extensiväckern. „Ihnen machen zu hohe Nährstoffeinträge zu schaffen“, sagt BfN-Präsidentin Beate Jessel. Der Stickstoff käme zu 63 Prozent aus der Landwirtschaft, so Jessel.
In Landwirtschaft und Agrarpolitik müsse dringend umgesteuert werden, fordert die BfN-Chefin. Oberstes Ziel müsse es sein, die Nährstoffüberschüsse abzubauen, sekundiert da der WWF. Auch für den BUND bleibt die Lage „ohne fundierten Gewässerschutz in Deutschland dramatisch“. Dessen Vorsitzender Hubert Weiger fordert einen zehn Meter breiten Gewässerrandschutzstreifen und die Reduktion an Pestiziden. Überdies könne man den schlechten Zustand vieler Pflanzen, vor allem der Ackerwildkräuter, nicht isoliert betrachten. Die Krise der Pflanzen bedingt die Krise der Insekten bedingt die Krise der Feldvögel.
Auch die Kenner sterben aus
Doch nicht nur die Arten sterben aus. „Auch die Taxonomen gehören mittlerweile auf die Rote Liste“, sagt Jessel. Leider würden ausreichende Artenkenntnisse an den Hochschulen kaum noch vermittelt. Die Taxonomie sei aus den Lehrplänen verschwunden.
Die bundesweit veröffentlichte Rote Liste der bedrohten Tiere, Pflanzen und Pilze: Rote Listen Tiere, Pflanzen und Pilze | BFN
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe Januar 2019.