Das papierlose Büro ist und bleibt eine Illusion. Trotz oder wegen zunehmender Digitalisierung. Wir lesen weiterhin lieber auf Papier, weil wir die Informationen darauf besser „begreifen“. Darum drucken wir E-Mails wie auch Internetseiten erst einmal aus. Das gibt uns ein Gefühl der Sicherheit. Unser Papierverbrauch verharrt daher seit Jahren auf konstant hohem Niveau: 240 Kilogramm pro Kopf. Das ist Platz eins unter den G20-Staaten. Und schlimmer noch: Deutschland importiert für seine Papierherstellung am meisten Zellstoff ausgerechnet aus Brasilien. Von dort kamen laut dem Verband Deutscher Papierfabriken 2018 mehr als eine Million Tonnen. „Eher als das papierlose Büro kommt die papierlose Toilette“, sagt denn auch Gerd Kießlich, der Leiter des Fachbereichs Personal und Organisation der Stadt Bottrop. Wenn schon Papier, dann Recyclingpapier, ist nicht nur seine Devise.
Exakt 102 Städte in Deutschland verwenden im Durchschnitt mittlerweile 89 Prozent Recyclingpapier. Darunter zählt Bottrop zu den Besten. Die Stadt setzt in der Verwaltung komplett aufs Papier mit dem Blauen Engel und verpflichtet auch alle öffentlichen Schulen dazu. Zudem werden dort mehr als 50 Prozent der städtischen Publikationen auf Recyclingpapier gedruckt. Noch besser unter den Großstädten ist nur noch Oldenburg. Wie der diesjährige kommunale Wettbewerb der Initiative Pro Recyclingpapier zeigt, geht auch Oldenburgs OB Jürgen Krogmann mit gutem Beispiel voran und korrespondiert ausschließlich auf Blaue-Engel-Papier. Dafür gab es vier extra Punkte, die Oldenburg zum Sieger machten. „Um das zu schaffen, haben wir sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet“, sagt Oldenburgs Baustadtrat Sven Uhrhan.
Tatsächlich gibt es gar keine Argumente mehr, die gegen Recyclingpapier sprechen. Allenfalls ein ästhetisches, da ein Weißgrad von 80, der ohne optische Aufheller auskommt, ein Tucken dunkler ist als Frischfaserpapier. Sonst ist das aus 100 Prozent Altpapier bestehende Neuprodukt in ökologischen und ökonomischen Belangen überlegen: mehr Ressourcenschonung (kein neues Holz als Rohstoffquelle), geringere Abwasserbelastung (weniger Chemikalien), geringerer Verbrauch an Energie (60 Prozent weniger) und Wasser (70 Prozent), ergo fällt auch weniger CO2 an. Und nicht zuletzt: Recyclingpapier ist auch archivierbar. Zumindest gilt das für Papiere, die den Blauen Engel tragen. „Und das Tolle daran ist“, sagt Karlsruhes Bürgermeisterin Bettina Lisbach, „dass es heute deutlich billiger ist als Frischfaserpapier.“ Karlsruhe hatte 2008, als der Ökopapierwettbewerb an den Start ging, einen Anteil von unter 25 Prozent. Heute sind es 98,5 Prozent. Berührungsängste gebe es keine mehr, sagt Lisbach: „Das hat sich alles in Luft aufgelöst.“
Es könnte der erste Schritt zur Nachhaltigkeit sein, wenn eine Kommune, ein Unternehmen oder eine Behörde beschließt, künftig nur noch Recyclingpapier zu beschaffen. Das sieht auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze so. „Es gibt keinen Grund mehr dagegen“, sagt sie. Bloß findet das in den Behörden und Ämtern des Bundes noch zu wenig Gehör. Erst 35 von rund 90 Bundeseinrichtungen kommen auf mehr als 80 Prozent, darunter nutzen nur 14 Häuser ausschließlich Blaue-Engel-Papier. Dabei hat sich die Bundesregierung eine 95-Prozent-Quote bis 2020 als Ziel gesetzt. Wie wollen Merkel & Co das noch schaffen? Vielleicht, indem sie mehr auf die Taktgeber im Klimaschutz schauen: auf die Städte und Gemeinden. „Nehmt die Kommunen ernst und hört zu, was sie geleistet haben!“, sagt Detlef Raphael vom Deutschen Städtetag.
Ihr Tim Bartels
Über den Autor:
Tim Bartels ist Chefredakteur der Zeitschrift UmweltBriefe. Darin beschäftigt er sich mit den Themen Nachhaltigkeit, Energie, Abfall, Immissionsschutz, Mobilität, Klima- und Naturschutz, Stadtökologie, Umweltmanagement, Umweltrecht und Lokale Agenda 21. Er ist Träger des UmweltMedienpreises der Deutschen Umwelthilfe.