Die Verkehrswende muss auch eine Nutzungswende sein. „Wir können uns Straßen heute nur schwer als etwas anderes als Fahrbahn für Autos vorstellen“, sagt Katja Täubert vom Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD). Die Straße ist gefährlich, macht aggressiv und stresst. „Road rage“ eben. Besser, man hält sich fern davon.
Rückeroberung der Straße
Denn der öffentliche Raum sollte doch auch ein Ort zur (aktiven) Entspannung, zur Unterhaltung und zum Entdecken sein. „Erst wenn viele Menschen mit dem Rad und zu Fuß unterwegs sind“, so Täubert, „wird Platz frei und wir können unsere Straße neu denken.“ Wie das aussehen könnte, illustriert der VCD in seiner neuen Publikation zur Rückeroberung der Straße: Für Anwohner, Fußgänger, Flaneure, Kinder, Erholungsuchende und Radler. Eine Vision.
Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten
Bisher ist es ja so: Knapp 60 Prozent der Verkehrsfläche sind für fahrende und parkende Autos, Busse und Bahnen vorgesehen. Die Verkehrswende muss eine echte Mobilitätswende werden. Der Straßenrand ist zu einem Dauerparkplatz verkommen. Mindestens 90 Prozent aller Privatautos stehen auf der Straße, im Schnitt bekanntlich 23 Stunden am Tag.
Öffentliche Plätze laden eher aus als ein. Sie dienen „nur der Durchwegung, nicht dem Aufenthalt“, wie Täubert sagt. Fußwege sind meist schmal, im Fall des erlaubten Gehwegparkens (Verkehrszeichen 315) oft auch extrem eng. „Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrbahn zu überschreiten.“ So steht es in der Straßenverkehrsordnung (StVO), §25 Abs. 3. Klingt mehr wie ein Verbot statt nach einer Einladung, das Verbot nämlich, auf der Straße zu gehen.
„Aktuell gilt die Verkehrsordnung allein der Flüssigkeit und Leichtigkeit des motorisierten Verkehrs“, sagt Täubert. Für die VCD-
Verkehrswende als Nutzungswende
Die Verkehrswende funktioniert nur, wenn Rad-
Der VCD nennt ein paar gute Beispiele: die Rives de Seine in Paris, eine 3,3 km lange autofreie Strecke, auf der Menschen schlendern und radeln können; den Times Square in New York, der zur Fußgängerzone wurde; oder der nach Rückbau der Stadtautobahn renaturierte Fluss Cheonggycheon in Seoul, an dem man wieder sitzen und flanieren kann. Angeführt wird auch das berühmte Freiburger Stadtviertel Vauban – mangels anderer deutscher Beispiele. Die würden aber sicherlich eines Tages in großer Zahl dazukommen, wenn die Verkehrswende gelingen soll. Eine Shared-
Aufgaben für die Politik
Erster Schritt dahin: Der Verkehrsminister müsse das Straßenverkehrsrecht so ändern, dass Fußgänger und Radfahrer „mehr Raum und Sicherheit im Verkehr bekommen“, heißt es unter sechs Kernforderungen des VCD für die Verkehrswende.
In der Tat hat das der mittlerweile gern auch als „Fahrradminister“ titulierte Andreas Scheuer ja auch vor. Bloß seien seine Vorschläge „noch viel zu zaghaft“, um der Transformation im Stadtverkehr zum Durchbruch zu verhelfen“, kritisiert Täubert: „Der Fußverkehr fehlt komplett.“ Genauso wie ein explizites Bekenntnis zur Vision Zero, also das Ziel, jegliche Verletzungen oder gar Todesfälle im Verkehr zu vermeiden. Als „die Maßnahme schlechthin“ fordert der VCD Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, für Fußgänger längere grüne Ampelphasen und noch viel mehr Möglichkeiten, die Straßen zu überqueren sowie mindestens 2,5 m breite Fußwege.
Autor: Tim Bartels, UmweltBriefe Juli 2019.
Das VCD-Visionsbuch „Mit Füßen und Pedalen – Hol dir deine Stadt zurück!“ (90 S.) kostet 15 Euro und ist unter www.vcd.org bestellbar.