Zwei Studien darüber erregen derzeit die Gemüter. Die eine, wie man bereits 2035 klimaneutral wird, hat das Wuppertal-Institut für Fridays for Future geschrieben. An der anderen, Klimaneutralität erst 2050, haben die Wuppertaler ebenfalls mitgewirkt, zusammen mit Prognos und Öko-Institut im Auftrag der beiden Agoren Energie- und Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität. Letzterer sitzt der als Energie-Staatssekretär 2018 zurückgetretene und frühere Agora-Chef Rainer Baake vor. Und der sagt: „Der Beschluss der Bundesregierung, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen, ist ein großer Schritt nach vorne, weil damit jetzt klar ist, dass in allen Sektoren alle Treibhausgasemissionen innerhalb von drei Jahrzehnten auf Null zu setzen sind.“
Vier Strategien, um klimaneutral zu werden
Wie das gehen kann? Die Agora-Studie setzt auf vier Strategien: Erneuerbare Energien ersetzen Kohle und Gas zur Gänze im Stromsektor; zweitens soll mit Strom gefahren und geheizt werden. „Elektromobilität und Wärmepumpen sind die Zukunft“, sagt Patrick Graichen von Agora Energiewende. Drittens, so er: „Wir sanieren jedes Haus.“ Und viertens werde Wasserstoff der Energieträger für die Industrie, Schiffe und Flugverkehr sein.
Mehr Erneuerbare Energien
Zur Umsetzung der Klimaneutralität, betont Graichen, sei im ersten Schritt bis 2030 eine CO2–Reduktion um 65 Prozent erforderlich – bisher sind 55 das Ziel. Konkret bedeutet das bis 2030: den Ausstieg aus der Kohle (statt 2038), eine Erhöhung des Erneuerbaren-Anteils am Stromverbrauch auf 70 Prozent, dessen Anstieg wegen neuer Verbraucher um 50 TWh, einen Ausbau der Windkraft an Land auf 80 GW (von heute 55), offshore von 8 auf 25 GW und Photovoltaik von 54 auf 150 GW, den Austausch fossiler Heizungen durch 6 Millionen Wärmepumpen und Verbrennerautos durch 14 Millionen Elektro-PKW.
Raus aus Kohle, Gas und Öl
Im zweiten Schritt nach 2030 in Richtung 95 Prozent CO2–Minderung dürfe man nur noch in klimaneutrale Technik investieren. Nach der Kohle müsse Deutschland auch flugs aus Öl und Gas aussteigen. Die letzten fünf Prozent der Emissionen, „die wir nicht vermeiden können“, sollen über die CO2–Abscheidung und –Deponierung unter Tage (CCS) entsorgt werden. „Es wird vor allem in der Zementindustrie noch Restemissionen geben“, sagt Graichen, „aber vor allem auch in der Landwirtschaft durch die Tierhaltung.“
Ohne Wasserstoff geht’s nicht
„Unsere Studie kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass Klimaneutralität ohne Wasserstoff nicht möglich sein wird“ sagt Baake. Und dieser Wasserstoff müsse CO2–frei erzeugt werden, da der Transport von weit her – z.B. Marokko, Tunesien (s. S. 12) – mit hohen Kosten verbunden sei. 40 Prozent der Energie gingen verloren, wenn man das Gas in flüssige Form wandelt, um es per Schiff zu transportieren. Baake: „Wasserstoff ist der ganz teure Champagner der Energiewende.“
Während die Agora-Studie den Beschluss der Regierung ernst genommen und ihr einen Fahrplan vorlegt, verfolgte die Fridays-for-Future-Studie einen 1,5-Grad-kompatiblen, CO2–neutralen Pfad bis 2035 mit der Prämisse, dass das noch verbleibende CO2–Budget global pro Kopf verteilt wird. Die Jugendbewegung versteht die Studie vor allem als Denkanstoß zur nötigen Verschärfung der Klimaziele in Deutschland und zu den dafür erforderlichen Maßnahmen.
Die Agora-Studie steht zum Download bereit unter www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/klimaneutrales-deutschland-langfassung/
Die FfF-Studie als PDF unter https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/CO2-neutral_2035.pdf
Autor: Tim Bartels, aus UmweltBriefe, Dezember 2020.
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